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Kultur gegen Markt

Franz Rieder • Wissen: Gemeingut oder Privateigentum? Wissen – Vom Privateigentum zum Monopol, Markt vs. Allmende       (nicht lektorierter Rohentwurf)   (Last Update: 01.06.2019)

beschäftigen uns, zur Zeit noch rein theoretisch die Voraussetzungen klärend, mit der Frage, ob es denkbar ist, wie die Ökonomik gerne bestätigt wissen würde, dass die Reproduktions- und Entwicklungsprozesse einer Gesellschaft durchgängig als Marktwirtschaft funktionieren können? Oder, ob eine Gesellschaft ab einem bestimmten Zeitpunkt in ihrer Geschichte alle Formen der gesellschaftlichen Praxis, alle Beziehungen, die sie innerhalb und außerhalb ihrer nationalen Grenzen unterhält in solche Beziehungen zwischen Marktakteuren transformieren kann bzw. muss und dass diese Transformation sowohl die gesellschaftliche Wohlfahrt mehren wie deren kulturelle Entwicklung beeinflussen kann.
Wir können alle diese Fragen, die damit zusammenhängen auch zusammenfassen zu der Frage: Kann die Marktwirtschaft grundsätzlich zum alleinigen, zum umfassenden Organisations- und Entwicklungsprinzip einer Gesellschaft erklärt werden?

Die Apologeten der Marktwirtschaft beantworten diese Fragen unisono positiv. Wer sind diese Apologeten? Wir behaupten, dass es in den politischen wie in den ökonomischen Institutionen weltweit außer Apologeten niemanden von Relevanz mehr gibt, dem dieser Status nicht zukäme. Das, was man unter Marktwirtschaft versteht, wenn gleich auch unterschiedlich in den Staaten der Erde ausdifferenziert, hat sich zum globalen Prinzip erhoben, das auch kriterial darüber mitentscheidet, welche Voraussetzungen kulturelle Entwicklungen nehmen können bzw. nicht nehmen können.

Wenn also die Marktwirtschaft einen großen Einfluss ausübt auf kulturelle Prozesse, dann müsste man sie daran erkennen, dass Kultur den marktwirtschaftlichen Bedingungen ausgesetzt ist wie umgekehrt sich Kultur marktwirtschaftlichen Bedingungen anpasst.
Diese Dialektik wechselseitiger Beeinflussung teleologisiert sich final zu einer wechselseitigen Affirmation, zu einer symbiotischen Bestätigung von Kultur durch den Markt wie den Markt durch die Kultur. Das sehen wir allenorts bestätigt.

Warum also der Dialektik von Kultur und Marktwirtschaft noch weiter hinterherdenken? Wenn doch alles so sehr ineinander verwoben zu sein scheint, dass eine Differenz, eine Öffnung in diesem scheinbar geschlossenen System (Luhman) nirgends sichtbar ist?
Für uns kommt der Dialektik von Kultur und Markt eine ganz zentrale Stellung zu. Allein deshalb lohnt ein Blick auf diesen Prozess, der sich aus einem negativen Verhältnis zwischen Kultur und Markt entwickelt und als dieses das treibende Moment unserer modernen Geschichte ist.

Als eine Dialektik der Negativität, die mithin als die bewegenden und erzeugenden Prinzipien in der Kultur wie in der Marktwirtschaft historisch gesehen ihre wesentlichen Triebfedern hat, beeinflussen sich beide wechselseitig, aber nicht so, wie klassische Dialektik, ausgehend von ihren griechischen Anfängen bei Platon und Aristoteles bis dann zu Kant und letztlich zu Hegel in ihr die spiralförmige Vereinigung von Gegensätzen zu einem höheren Dritten verstehen will.

Kultur und Marktwirtschaft bilden vonseiten der menschlichen Praxis her betrachtet, keinen Prozess, der Gegensätze vereint, auch kein aktives, dysfunktionales Verhalten in Interaktion, sondern einen Prozess der historischen Durchsetzung, wobei damit noch nicht gesagt ist, dass sich die besseren Verhältnisse gegen die aktuell politisch stärkeren durchsetzen. Kulturelle Entwicklung will bessere Verhältnisse. Das will Marktwirtschaft auch. Marktwirtschaft glaubt über die Verbesserung der materiellen Verhältnisse, also durch höheres Geldeinkommen, Besitz und Eigentum zugleich den Prozess der kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft ganz wesentlich bestimmen zu können. Im Verein mit der modernen Wissenschaft und der Technik glauben die Apologeten der Marktwirtschaft nicht nur an die kulturelle Verbesserung der Gesellschaft, sondern auch daran, dies umfassend, also für alle Mitglieder der Gesellschaft und in einer optimalen Zeit, das zählt innerhalb einer Generation, bewerkstelligen zu können.
Ihre wissenschaftlichen Vertreter zweifeln mittlerweile zunehmend an den Kriterien, die zur Messung der Entwicklung herangezogen werden; trotzdem sind bis heute Einkommen, also Lohnsummen und Bruttosozialprodukt die Kernmessgrößen für die zunehmende bzw. abnehmende Zufriedenheit der Gesellschaft mit ihrer Entwicklung in Richtung generativer wie individueller Verbesserung der Lebenssituation und -aussichten.
Wenngleich in einigen Fachzeitschriften der Volkswirtschaftslehre zunehmende Zweifel an dieser kriterialen Ausrichtung der Ökonomik in Richtung einer Entwicklung zum Besseren auszumachen sind, weder haben wir neue und bessere Kriterien noch kompensieren die Studien der sozialwissenschaftlichen Glücksforschung die wissenschaftlichen Lücken der Ökonomie.

Aber was sind die Kriterien der kulturellen Entwicklung? Gibt es solche? Wenn heute ehemalige Konzernvorstände wie etwa der einstig Personalchefvorstand der Deutschen Telekom, Sattelberger, mehr Disruption1 in den Abteilungen und Funktionsebenen deutscher Konzerne fordert, mag man die Not, aber auch die Richtung erkennen, mit der den bestehenden, marktwirtschaftlichen Strukturen gerne zu Leibe gerückt würde. Ganz generell kann man mit Sattelberger sagen, dass Disruption nicht verwechselt werden darf mit einem politischen Begriff wie die Revolution; revolutionäre Ambitionen ehemaligen Unternehmenslenkern zu unterstellen, griffe dann doch wohl ein wenig zu weit.

Mit dem Begriff der Disruption werden allein Unternehmen, keine politischen Systeme betrachtet. Wenn Unternehmen existenzbedrohend Geschäftsfelder bzw. Geschäftsmodelle verlieren, durch technische oder systemische Innovationen, dann können Unternehmen, ja sogar ganze Brachen untergehen oder zumindest lokal verschwinden, die Marktwirtschaft als ganze ist dabei noch nicht bedroht.

Diesen disruptiven Prozess als notwendig für eine funktionierende Weiterentwicklung des Marktes zu verstehen, soll aber die Entwicklung an sich nicht unterbewerten; im Gegenteil. Diese Entwicklung ist dialektisch, also Teil der Kultur wie diese auch Teil des Marktes ist. Beide stehen in diesem negativen Verhältnis zueinander und Kultur bildet insofern einen nicht notwendig affirmativen Teil der Marktentwicklung, weil jene disruptiven – ein ungeeignetes Wort – Kräfte nicht selbst wiederum Teil des Marktes per se sind.

Sie gehören zur kulturellen Entwicklung, weil alle Erneuerungen auf dem Markt nicht ohne Wissen auskommen. Reflexionen, nachdenken darüber, was es gibt und was es geben könnte, wie etwas ist und wie etwas besser sein könnte, sind die notwendigen Voraussetzungen für kulturelle und ökonomische Entwicklungen. Deshalb müssen wir uns an dieser Stelle kurz mit dem Wissen aus Sicht der Ökonomik und der Ökonomie beschäftigen.



Wissen: Gemeingut oder Privateigentum?


1. Akt: Allmende

Bevor wir uns mit dem Informationszeitalter, den sog. neuen Medien, den Sozialen Medien und den Plattform-Ökonomien, der Blockchain und den Bitcoins, HTML und Web 4.0 in einem späteren Kapitel beschäftigen können, sollten wir einen Blick auf die Geschichte und die spezifischen Formen der Wissensgeneration wie dessen Verbreitung und Nutzung versuchen.

Der vielleicht deutlichste, jedenfalls zum Verständnis unserer Wissensökonomie spezifisch beitragende Einschnitt in die Wissensgeschichte datiert wohl im 16. Jhd. Dieses Datum ist auch zugleich der Anfang einer neuen Wirtschaftsgeschichte und deshalb können wir auch historisch Wissen und Wirtschaft in einem Blick vereinen.
Das 16. Jhd. ist das Jahrhundert, in dem die Entwicklung der Wirtschaft eine neue Dynamik zeigt, an deren Ende der heutige Zustand einen höchst problematischen Umgang mit unseren Lebensgrundlagen bilanziert.
Wirtschaftliches Wachstum bilanziert sich seither in einem deutlichen Abstand jeder Form von materiellem Wohlstand, Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung.

Nicht ganz analog dazu bilanziert sich die Entwicklung der Wissens-Allmende2 seither. Hatten die Menschen lange Zeit uneingeschränkt Zugang zum Wissen als kultureller bzw. religiöser Ressource, selbst solche Menschen, die weder schreiben noch lesen konnten, so hat sich bis heute dieser Zugang in einer Weise stark eingeschränkt. Der Zugang zum Wissen ist nicht mehr ein uneingeschränkter Zugang zu einem Gemeingut, Allmende, sondern fast ausschließlich über einen Markt vermittelt oder hat gewissermaßen einen epistemologischen numerus clausus zur Voraussetzung.

Konnten früher alle Menschen Kirchen und kirchliche Museen uneingeschränkt, also auch unabhängig vom Bildungsgrad besuchen, so müssen sie heute selbst vor einem Besuch der Sixtinischen Kapelle tief ins Portemonnaie greifen. Gleich zu welchen Zwecken, standen die Wissens-Allmende offen als Gemeingut zur Verfügung; besonders die Wissenschaften profitierten davon. Heute, wo selbst genetische Codes bereits mit Patentschriften belegt sind, wird sogar die sog. freie Wissenschaft zum Wirtschaftsfaktor.
Hatte Karl Marx noch der Wissens-Allmende geradezu konstitutiven Charakter attestiert und der wissenschaftlichen Erkenntnis und ihrer rasanten Entwicklung im Vergleich mit dem Faktor Arbeit à la longue den deutlich größeren, wertbestimmenden Faktor zugesprochen3 , so droht Wissen heute den Faktor Kapital mit seiner wertadhäsiven Kraft zu beeinflussen. Zunehmend lauter werden sogar jene Stimmen, die dem Wissen den Status eines dritten Faktors in der modernen Marktwirtschaft zuschreiben, dem sich die beiden traditionellen Faktoren, Arbeit und Kapital unterordnen bzw. dass diese von jenem mehr und mehr maßgeblich bestimmt werden. Allein dies rechtfertigt schon eine nähere Hinsicht.

Wenn wir von Wissens-Allmende in der historischen Sicht sprechen, dann finden wir jene Dialektik, von der wir eben gesprochen haben. Wissen, und auf diesem weiten Feld ganz besonders die wissenschaftliche Erkenntnis und deren Methodik stehen in einem Durchsetzungsprozess mit der Wirtschaft, der weder einheitlich noch eindeutig, aber dialektisch ist. Die Wirtschaftsgeschichte kennt seit dem 16. Jhd. keine Phase der unabhängigen, parallel zueinander verlaufenden Entwicklungsprozesse zwischen Wissen und Wirtschaft. Wissen passierte die Grenze zur Wirtschaft ständig und dieses epistemologische Passagenwerk ist bis heute schneller und effektiver im kleinen Grenzverkehr mit der Wirtschaft geworden als je zuvor. Und dabei wird immer wieder vergessen, dass Wissen die Wirtschaft – und nicht nur die Ökonomik, sondern prinzipiell und faktisch jedes einzelne Unternehmen – nicht nur herausforderte, sondern bis in deren Grundfesten oftmals bedrohte. Das ist also kein Zeichen der Moderne und ihrer vermeintlich disruptiven Start-ups, das kennzeichnet eine Form der Infragestellung, die weit über eine Verbesserung bestimmter Fakten und Prozesse hinausgeht.

Aber ebenso wie die Wissensgeschichte sich als Bedrohung der Wirtschaft geschrieben hat, so sehr ist sie auch der Wirtschaft durch eben solche Verbesserungen und auch von Krisenbewältigung hilfreich beigesprungen. Besonders das 19. Jhd. ist gekennzeichnet von einer zunehmend sich an den Bedürfnissen und Anforderungen der Wirtschaft orientierenden Naturwissenschaften und den ihr angegliederten Ingenieurswissenschaften, die besonders in der rasant fortschreitenden Mechanik, Maschinentechnik und im Maschinenbau den rasant fortschreitenden Prozess der Industrialisierung begleitet und mitbestimmt haben. Das gleiche gilt für die Chemie, für die chemische Industrie und die Wissenschaft der Chemie und man könnte durchaus noch eine Reihe anderer Pärchenbildungen bennenen. Was man aber unbedingt festhalten muss ist eine Veränderung, der man bis heute viel zu wenig Beachtung geschenkt hat und die schon im 16. Jhd. einsetzte; die Privatisierung des Gemeingutes Wissen.

War die Agrarreform ein Jahrhundert früher vorangegangen, folgte die Wissens-Allmende alsbald. Hauptauslöser war sicherlich der Buchdruck im weitesten Sinne, aber auch die Seefahrt mit ihrem Navigationswissen und die Geografie wurden zunehmend in Bereiche des Kriegswissens verschlossen.
Zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert veränderte sich das politische Gesicht Europas grundlegend: Die unmittelbar mit dem Machtbereich von Papst und Kaiser verbundene, auf universalen Herrschaftsanspruch ausgerichtete mittelalterliche Ordnung zerbrach. Autonome, sich selbst bestimmende Staaten entstanden. Vielfach handelte es sich um so genannte Nationalstaaten, in denen ein Volk mit gemeinsamer Sprache und Kultur und ein Staatsverband eine Einheit bildeten.

Im Innern der Staaten vollzog sich ein Wandel vom Lehns- zum Beamtenstaat. Der feudalistische Staat mit seinem ständischen Aufbau und dem gegenseitigen Treueverhältnis von Lehnsherr (Feudalherr) und Lehnsträger (Vasall) wurde abgelöst durch ein Staatsgebilde mit einer Zentralgewalt, in dem ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Volk als Steuerzahler und dem Regenten und seinen (absetzbaren) Beamten bestand. In Frankreich und Spanien etwa konzentrierte sich diese Zentralgewalt im Wesentlichen auf den König, in England hingegen beruhte sie auf der engen Zusammenarbeit von König und Parlament.

Während der Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit gewann aber das Bürgertum nicht nur an ständischem Selbstbewusstsein, das zugleich auch ein ständisches Wissen hegte, sondern Wissen insgesamt wurde zur Basis von offensiver Kritik an blinder Autoritätsgläubigkeit. Der freie Austausch von Wissen als Grundlage für eine freie, kritische und auf Veränderung und Revolution zielende, freie Argumentation und Meinungsbildung schuf die Basis für die großen, geistigen Bewegungen: Humanismus, Renaissance und Reformation.

Wissen war nicht mehr nur Gemeingut wie etwa als religiöses Wissen. Wissen wurde zur Grundlage gesellschaftlicher und politischer Veränderungen aller größten Ausmaßes. Dem begegeneten Aristokratie und Monarchie bereits mit dem Beginn des Zeitalters des Buchdruckes, also schon ab Mitte des 15. Jhd. mit der Vergabe von ‚privilèges‘4 . Neben den meist in Form landesherrlicher Privilegien verliehenen Erlaubnissen zur Münzprägung, zur Ausübung eines Handwerks, Anrufung von Gerichtsinstanzen und Universitätsgründungen spielte die Erlaubnis zur Anfertigung von Druckerzeugnissen wahrscheinlich sogar die wichtigste Rolle in der staatlichen, politischen und kulturellen Entwicklung in Europa, die in der frühen Neuzeit noch enorm an Bedeutung zunahm.
Ihr unterliegen in allen Bereichen der Münz-, Buchdruck-, Handwerks-, Appellations- oder Universitätsprivilegien erste Vorformen der Privatisierung. Natürlich blieben die Herrschaftskompetenzen bestehen, aber für die aufkommende bürgerliche Gesellschaft trat ein erstes Mal ein „juristisches Subjekt“, ein „individueller, privater Rechtsträger“ zwischen Bürger und Gemeingut. Das hatte Folgen für die Wissens-Allmende en gros.



Das Wissen – Der Antiheld


1. Akt: Allmende

Wissen steht zum Markt wie der Antiheld zum Krieg. Er trägt Züge des Eskapismus, bleibt aber letztlich doch sehr oft bei der Stange. Er ist keine Figur, mit der man sich identifizieren kann, viel zu ambivalent, zu sprunghaft, zu vielschichtig, um mit dem positiven Helden, dem starken, schönen, tapferen, aber mitunter ein wenig tumben und allzu willfährigen Protagonisten um Gunst und Einfluss zu konkurrieren. Seit seinem Erscheinen am Beginn der Neuzeit war Wissen Sache des Zweifels. Der gute Glaube war dahin. Und die Zeiten mit ihren Erneuerungen und Wechseln wurden schneller und vom Wissen erwartete man rasche Antworten auf alle Fragen, wenigsten gute, sichere Ratschläge in den Krisenzeiten. Und was bekam vom Antihelden? Zweifel. Abwägungen. Verständnis. So dachte man, dem Wissen können wir nicht trauen, es ist eitel und untreu, anmaßend bis ausweichend.

Mit dem 17. Jhd. eskalierte vormals religiös orchestriertes Wissen ins Privateigentum und Beamtentum. Der Adel, die Aristokratie, die geistigen und die weltlichen Herrscher waren in stummer Aufruhr gezwungen, ob der geistigen Libertinage und ihrer umstürzlerischen Narrative an der freien Verbreitung solcherart Denkgut starke Hände anzulegen; privilegierte Verlage wurden höchst herrschaftlich inauguriert und all zu freie Geister ins Beamtentum gesperrt.

Vor dem 18. Jhd. lebten die meisten Dichter und Schriftsteller von den Zuwendungen des Adels und vom Mäzenatentum meist fürstlicher Provenienz. Honorare für ihre Manuskripte gab es kaum und wenn, spielten sie kaum eine Rolle in der subsistenziellen Versorgung. Wenn damals Dichter, Literaten, Philosophen, Wissenschaftler und Künstler über ihren Kampf um die geistigen Eigentumsrechte erfolgreich ein wenig an ihrer materiellen Lebenssituation verbessern konnten, so haben sie die Folgen der Zugangsbeschränkungen zu den Werken nicht absehen können oder wollen. Und mit den Zugangsbeschränkungen, die das neu geschaffene, freie Schriftstellertum z.B. über die privilegierten Verlage ausübte, untergrub man die Wissens-Allmende und letztlich immer weitere Teile des kulturellen Erbes der Menschheit. Zunächst aber wog die Zugangsbeschränkung den Zuwachs an Verbreitung nicht auf, aber der Geist der Privatisierung und des geistigen Eigentums war aus der Flasche, als sich zum ersten Mal in der Geschichte des Wissens ernsthaft die Frage nach der Vergütung des Künstlers und Literaten durch Buchhändler, Verleger und Galeristen stellte.

Man ersann alle möglichen Formen der Vergütung bis hin zu Gewinnbeteiligungen und sogar erste Formen von Lizenzierungen wurden bekannt, wonach der Verleger das Recht auf ein Werk oder Manuskript, machen noch bevor sie geschrieben waren, kaufte und vermarktete. Dies konnte natürlich nur geschehen, wenn der Schöpfer künstlerischer Werke auch als Eigentümer derselben auftreten konnte, also die Rechte an den Elaboraten auch auf seinen Namen gezeichnet waren. Damit war das traurige Ende der Wissens-Allmende eingeläutet und geistiges Eigentum erfunden, von dem man seit Jahrtausenden niemals hatte denken können, dass ein gemeinschaftlich erbrachtes Kulturgut einmal einem einzigen Menschen gehören sollte. Stets wusste man, dass Wissen keine Privatangelegenheit ist und sein konnte, dass Wissen mehr Quellen hat als die Natur, mit ihr aber gemein, dass es aus vielen Quellen und Flüssen in die Ozeane der Allmende fließt.

So sehr sich auch für den ein oder anderen Geheimrat, der es übrigens gar nicht nötig gehabt hat, die materielle Lage durch die Privatisierung und Kommodifizierung des Wissens und der schönen Künste auch verbessert haben mag, meist blieb der Poet doch ein armer mit dickem Schal um den Hals im Bett unter dem Schirm beim Funzelschein ein trauriges Schicksal fristend.

Und so viel besser sieht die materielle Lage der meisten freien bzw. freiberuflichen Kulturarbeiter heute auch nicht aus. Ohne Taxijob oder befristeten Lehrauftrag für ein paar Monate sähe ein Leben, allein aus den Einkünften künstlerischer Tätigkeiten finanziert, öde aus.
Daran ändert auch nichts die ubiquitäre Verwendung des Copyrights, die heute vom Passbild bis zum Trinkspruch für Omis Geburtstag alles ziert; es könnte ja jemand damit den großen Reibach zu machen versuchen und dann will man ja dabei sein, wenn die Kasse klingelt; wie naiv und armselig!

Wie überschüssig Aufklärung in diesen ökonomischen Zusammenhängen sein kann bzw. wie leicht sie darin untergehen kann, zeigt Diderots „Lettre sur le commerce des livres“ aus dem Jahr 1763. Dort erreicht die Hybris des Selbstbewusstseins erste Höhen, wenn „der Autor () Herr seines Werkes (ist) oder niemand in dieser Geselllschaft ist mehr Herr über sein Gut.“
Mit Gegensätzen wie Herrschaft und Knechtschaft ist nie viel zu erklären; das musste auch Hegel später erfahren. Aber tiefer noch reicht das Missverständnis als komplexe Zusammenhänge jeweils historisch spezifischer Sachverhalte in einer zu groben Zusammenschau von Wesensbegriffen oder, wie im Falle von Diderot, aus einer gefühlsduseligen Anwandlung zu einer heroischen Figur der Kunst stilisiert werden: „…wenn seine eigenen Gedanken, die Gefühle seines Herzens, der wertvollste Teil seiner selbst, der ihn überdauern und unsterblich machen wird, wenn all diese ihm nicht gehören?“

Dem Anti-Held, dem armen, ehrlichen Poeten, der noch weiß, dass er nicht weiß, tritt bereits im Ausgang des 18. Jhd. die Haltung des Kunst-Heroen, des narzisstisch hybriden, genialen Schöfers ewiger Kunstwerke gegenüber. Nicht, dass dieser damit schon im Reichtum schwelge, aber er beansprucht die alleinige Vertretung eines, seines geistigen Rechtsgutes, falls es denn dann mal zu dessen Verwertung, zu dessen Gang auf den Markt kommt.



Wissen – Vom Privateigentum zum Monopol


Der Titelzusatz: Vom Privateigentum zum Monopol, man könnte meinen, will provozieren; dass will er nicht. Im gängigen Diskurs wird heute fast überall ein Gegensatz zwischen privat und Monopol herausgedichtet, den es aber nicht gibt, außer zur Beförderung ideologischer Absichten. Bereits in der griechischen Antike war das Monopol die ultimative Erscheinungsform der „idiotes“, also der der Gesellschaft abhanden gekommenen Menschen, der Privatmänner. Das griechische „Monopol“ setzt sich zusammen aus: μόνος monos „allein“ und πωλεῖν pōlein „verkaufen“.
Von dort übernommen gilt heute noch in der Ökonomik das Monopol also eine Marktform, die dadurch gekennzeichnet ist, dass für ein ökonomisches Gut nur ein „Verkäufer“, ein Anbieter vorhanden ist; sehen wir einmal von den Plagiaten ab.

Anbieter- oder Verkäufermärkte stehen heute jener Marktform gegenüber, auf der es nur einen Käufer oder Nachfrager gibt. Ein Nachfragemonopol müsste, setzte man die etymologisch richtige Verbform anstelle des pōlein „verkaufen“ einsetzte die Bezeichnung: Monopson tragen5 .
Wissen kann weder der Marktform des Monopols noch der des Monopsons zugeordnet werden. Weder sind wissensbasierte, geistige Schöpfungen ein knappes Gut, noch ist ein vermeintlicher Besitzer eines formalrechtlich gezeichneten geistigen Eigentums ontologisch ein Monopolist – wir kommen später auf die Kunstwerke der bildenden im Unterschied zu denen der darstellenden Kunst gesondert zurück.

Blicken wir zurück in die Zeit der Aufklärung, dann sehen wir, dass durchaus ein Bewusstsein bestand hinsichtlich der Problematik, Wissen als ein ökonomisches Gut zu definieren. Fichte hat bereits darauf hingewiesen, dass, betrachtet man Wissen als ein ökonomisches Gut, man zwischen Form bzw. Ausdruck und Inhalt zu unterscheiden hat. Wenn überhaupt, dann kann der Schriftsteller für den Teil des Werkes, welcher die Form bzw. den von ihm erbrachten Ausdruck betrifft, Eigentumsrechte, nicht aber für den Inhalt geltend machen6 . Das konnte natürlich keinen Ausweg aus der Falle des privaten Eigentumsrechtes weisen, viel zu verstrickt in den aufkommenden Subjektivismus seiner Zeit war auch der prominente Vertreter des Deutschen Idealismus und der am Begriff des Ich ausgerichteten Wissenschaftslehre.

Ihr Vorbild war sicherlich Kants Kritik der reinen Vernunft sowie dessen Transzendentale Ästhetik, worin die Grundlegung neuzeitlicher Subjektivität vorgestellt wurde. Gleichwohl alle menschliche Erkenntnis und somit Wissen ihre Grundlage darin haben, was allen Menschen gemein ist, die Prinzipien der sinnlichen Wahrnehmung, die unabhängig sind von der jeweiligen Erfahrung des einzelnen Menschen, also apriori allen Menschen gegeben sind, so sind zwar die Vorstellungen von Raum und Zeit, die Fähigkeiten, Formen zu erkennen, sowie die erfahrbare Welt nach bestimmten Verhältnissen zu ordnen allesamt a priori im Menschen aktiv, trotzdem gehören sie zur Grundausstattung menschlicher Vernunft und definieren ab der Zeit der Aufklärung dessen Subjektivität.

Menschliche Erkenntnis, Wissen und somit alle intellektuellen Leistungen sind nach der Vorstellung des Deutschen Idealismus letztlich subjektiv im ontologischen Sinne, also eine Form der individuellen Weltauslegung und begründen damit einen gemeinsamen Kern, der Autorschaft, Erkenntnis und Subjektivität mit einander verbindet.

Wenn Fichte also lediglich dem Ausdruck Eigentumsrechte zubilligt, dann stellt sich weniger die Frage, wie denn die Form vom Inhalt sauber zu trennen sei? Prinzipiell kann jeder Schriftsteller werden, aber nicht jeder wird einer. Wenn also jemand es zum Schriftsteller gebracht hat, dann ist es auch sein Talent, seine Fähigkeit. Daraus leitet sich seit der Aufklärung auch ein Rechtsanspruch auf das Werk und dessen Verbreitung bzw. dessen Nutzung ab. Und diese Nutzung muss natürlich dem Autor vergütet werden, oder etwa nicht?
Die Frage also ist, ob und wenn ja, wie menschliche Erkenntnis, Wissen und die darstellenden Künste zusammenhängen, dass sich daraus eine Begründung und eine Legitimation für deren Kommodifizierung ergibt, die es als ein Gut bzw. als ein Ergebnis monetär zu bewertenden Arbeit und somit als einen Vermarktungsgegenstand bestimmt?

Seit Diderots Plädoyer für die Eigentumsrechte an Wissen, gibt es auch eine Gegenbewegung der Bedenklichkeit. Solche Bedenklichkeiten betreffen die wesentlichen Aspekte und Eigenschaften jeglicher Warenform, die sich einmal als jene Merkmale herausarbeiten lassen, die eine Ware zu einer Ware überhaupt erst werden lassen. Dann ist die Ware in ihrer historischen Form zu bedenken und schließlich die einer Ware entsprechende Marktform.

Was eine Ware überhaupt zu einer Ware macht, haben wir gesehen in der Bestimmung der Ware aus einer nicht-ökonomischen Bedingung, der Rechtsform, die das Privateigentum an einer Sache belegt. Dass man Wissen in Form eines Privateigentums organisieren kann, hat die Geschichte belegt. Ob aber Wissen eine „Sache“ mithin Ware allein deshalb schon ist, ist damit noch nicht bestimmt, im Gegenteil. Wissen ist ein kulturelles Gut.

Bedenken wir eine Eigenschaft der Ware, deren begrenztes Vorkommen oder deren Knappheit. Wenn Wissen ein kulturelles Gut ist, dann ist es nicht knapp. Denn, entgegen einem weit verbreiteten Irrtum, ist Knappheit im ökonomischen Sinne nicht eine empirisch-faktische Knappheit, ein Vorhanden-sein. Knappheit entsteht im Tausch, also wenn schon, dann im Zuhanden-sein. Dann nämlich, wenn eine Ware in meinen Besitz übergeht, von mir verbraucht wird, ist sie dem Zugriff durch einen anderen entzogen. Für ihn, den anderen also, dem „rivalisierenden Konsumenten“ ist dann erst die Ware knapp; der Drops ist also gewissermaßen erst in einem privatrechtlich organisierten Tauschverhalten gelutscht.

Wissen und damit alle Hervorbringungen geistiger Art sind also keine knappen Güter. Sie verlieren nicht ihren Sinn, ihren Informationsgehalt, ihre Schönheit, ihre inspirierenden Wirkungen, wenn sie weiter gegeben, wenn sie getauscht werden. Damit unterscheiden sie sich ganz wesentlich von Waren in Form physikalischer Güter. Selbst Dienstleitungen haben strukturell ähnlichen Charakter, vor allem, wenn es sich um Wissens- und Informationsdienstleistungen handelt; wir kommen darauf zurück.

Betrachten wir den konsumatorischen Aspekt, dann schließt der Konsum von Wissen niemanden aus, beschränkt den anderen in seinen konsumatorischen Bedürfnissen nicht. Daher spricht man in diesem Zusammenhang auch von nicht-rivalisierenden Konsum. Das Nichtrivalitätsaxiom7 kontrastiert damit klar zum Eigentumsrecht, ja das Eigentumsrecht kann als eine kontrafaktische Verknappung eines Gutes und damit als eine Prohibition der Nutzung eines kulturellen Gemeingutes angesehen werden.

Die Marktform des Wissens ist als eine öffentlich zugängliche Nutzung historisch gewachsen. Wenn für das gedruckte Buch ein Preis bezahlt werden muss, dann gelten nicht zufällig vor allem im deutschen Buchhandel mit seiner historischen Erfahrung im Nazionalsozialismus besondere Beschränkungen, die eigentlich gegen eine Beschränkung der Nutzung rechtsdefiniert wurden und die die Herstellungs- und Vertriebs- wie Marketingkosten sowie als Anteil daran die Autorenhonorare in einer Art der ‚Gemeinnützigkeit‘ festlegen.
Worauf es uns ankommt ist nicht eine Diskussion über die Höhe der Preise für Bücher und Honorare für Autoren bzw. eine Diskussion um Preis- und Honorar-Gerechtigkeit als Verteilungsschema. Uns kommt es darauf an, dass mit der rechtlichen Bestimmung von Wissen als geistiges Eigentum, Wissen dem Autor bzw. dem, der die Eigentumsrechte an einem Wissenswerk hält, eine Monopolstellung verschafft.
Was also eben noch Gemeingut war, darüber verfügt nun ein Einzelner, eine Rechtsperson innerhalb einer am Individual- bzw- Privatrecht ausgerichteten Gesellschaft.

Vergleicht man Monopole auf geistiges Eigentum mit Monopolen als ökonomische Marktform, dann scheint das, was hier als eine hohe Form der Marktdominanz und Wettbewerbsverzerrung negativ sanktioniert ist, dort geradezu erstrebenswert zu sein scheint. Der Bestseller, die #1 in den Musik-Charts sind nur zwei Beispiele dafür mit zum Teil jahrzehntelangen anhängigen, über die Erbengenerationen hinweggehenden Rechtsstreitereien im juristischen Urheberumfeld. Nicht selten werden solche Streitereien über schriftliche und musikalische Passagen, hier manchmal eine kleine Triole oder ein Rhythmuspartikel, dort ein winziges Apercu zu geradezu lächerlichen Anlässen mit Millionenstreitwert.

Heute verklagen Zeitungsverlage Suchmaschinen wegen der Verwendung von Nachrichtensnipplets, Allerweltsknipser werden beim Advokaten vorstellig wegen der Verwenung eines Click-Cklack-Fotos von der Elbphilharmonie, aufgenommen noch eingerüstet während der Bauzeit und veröffentlicht auf privaten Blogs.
Anwälte, wir kommen in einem größeren Zusammenhang darauf zurück, sind fast generell willfährige Genossen, wenn es darum geht, mit Copyright-Verletzungen Profit zu machen, zumal im Umfang von Serien-Abmahnungen.



Wissen – Identifizierung und Rekursivität


Auf zwei Wesenzüge des Wissens müssen wir gesondert eingehen: die Identifizierung und die Rekursivität. Standen Fichte und Kant zumindest kritisch einer Bestimmung des Wissens aus individeuellen Vermögen und Schöpfertum gegenüber, so betonte Condorcet8 ohne Abstriche die Bestimmung des Wissens als „soziale“ Angelegenheit. Wenig verwundert diese Haltung, erinnert man sich daran, wer Condorcet war; französischer Philosoph, Mathematiker, Politiker der Aufklärung, der sich 1789 der Revolution anschloss und als Präsident der Nationalversammlung den Entwurf einer umfassenden Education nationale verfasste.

Condorcet fand mit seinem klaren Verstand schon vor der Französischen Revolution die Bestimmung des Wissens als im Wesen ein über das Individuum und über die Generationen und kulturellen wie politischen Grenzen hinweg gerichteten Prozess der Aneignung, Weiterverbreitung und Deutung, den wir fortan mit dem Begriff des Diskurses repräsentieren werden.
Nimmt man diese transpersonale und, in seinem Sinne könnte man sagen, transkulturelle Bestimmung ernst, dann wird es schwer sein, genau den schöpferischen Anteil, den ein einzelner Mensch am Wissen hat, eindeutig festzustellen.

Die Identifizierung von Wissen und Person ist also schwer, wenn nicht gar unmöglich. Und trotzdem gelingt es fast mühelos, Persönlichkeiten des Geistes in der gesamten Menschheitsgeschichte zu identifizieren; ein Widerspruch? Nein. Geht der Begriff der Identifizierung einmal in die Richtung einer personalen Identität, so steht dem ein anderer Bedeutungskontext als Allmende gegenüber.

Im ersten Fall wird der Bedeutungskontext gleichsam überschrieben, indem es um Einander-Gleichsetzen von Dingen, Selbst- oder Fremdzuschreibungen geht. Im Falle des ökonomisch verwertbaren Wissens wird Wissen aus dessen Bedeutungszusammenhang als Allmende herausgegeschnitten, segregiert, und zugleich dieser ausgegrenzte Teil überschrieben als eine Form des Humankapitals, einer verwertbaren Eigenschaft eines Menschen, seine schöpferische Fähigkeit, um es als ökonomischen Wert quantifizieren zu können.
Mit der Identifizierung des Wissens als hochgradig emphatischer Begriff des individuellen Schöpfertums, des – heroischen – Genius als unverwechselbarer Einzelperson wird es grundsätzlich möglich, dessen künstlerische Individualität zu vermarkten, den Künstler als eindeutigen Träger eines individuellen geistigen Eigentums zu identifizieren und zur Waren zu bestimmen.
Würde man Wissen im Sinne der Allmende belassen, wäre eine Identifizierung mit einer Person sowie die Bestimmung als Ware unmöglich.

Ein anderer Wesenszug des Wissens zeitig weitgehendere Formen noch als die Identifizierung mit einer Person; die Rekursivität des Wissens. Wir haben in verschiedenen Zusammenhängen etwa generell mit der Repräsentation, mit der modernen Wissenschaft und auch mit der Wechselwirkung verschiedener Anlageklassen auf die Rekursivität von Wissen hingewiesen. Diese Form der „Rückwirkung“ von Wissen findet auf mehreren Ebenen der Zeit und Bedeutungen von Wissen statt, unabhängig von den Inhalten des Wissens. Wissen, haben wir daher bereits formuliert, ist rekursiv.

Der Buchmarkt etwa ermöglicht hervorragend, Wissen oder sagen wir einfach Ideen in allen ihren Formen, sei es schöpferischer, lexikalischer, wissenschaftlicher usw. Art zu verbreiten und zirkulieren zu lassen. Zugleich ermöglicht der Handel mit Büchern für eine Reihe von Autoren ein auskömmliches Leben und, wenn die eigene Marktposition gegenüber den Verlegern und sonstigen Abnehmern wie auch Zweitverwertern, etwa Zeitschriften, TV und Neue Medien etc. wettbewerbsspezifisch vorteilhaft ist, sowohl was das Angebot wie die Nachfrage betrifft, kann ein Autor mehr als auskömmlichen Wohlstand erreichen. Zugleich wirkt der Wettbewerb auf alle anderen Autoren und lässt sie zunehmend leer ausgehen. Unbekannte Autoren haben kaum noch eine Chance, durch Diskurse mit der Zeit aus der Versenkung hervor zu treten; sie bleiben unbekannt, irrelevant.

Im Wissenschaftssegment wirken zahlreiche Mechanismen der Rekursivität des Wissens entgegen, weil marktwirtschaftliche Interessen dahingehend in die Diskurse eingreifen, dass zwar mit den Eigentumsrechten neuerdings nicht nur ein höheres Einkommen und damit auch ein höherer Anreiz für wissenschaftliche Arbeit besteht, gleichzeitig aber mit der Segregation von Wissen, den Copyrights und anderen Formen von Nutzungsrechten der wissenschaftliche Fortschritt sich in bestimmten Ländern, Institutionen und Forschungsgruppen, zumal wenn diese auch noch durch die Wirtschaft gefördert werden, konzentriert. Diese Konzentration einerseits, hat zugleich auch die Bedrohung des wissenschaftlichen Fortschritts in anderen Ländern, Institutionen und Forschungsgruppen zur Folge und darüber hinaus bedroht diese Form der Konzentration die Wissenschaft insgesamt, als sie einseitig ökonomischen und institutionellen Interessen ausgesetzt bis unterworfen ist.

Aber letztlich ist die Kultur sogar als ganze bedroht. Der Handel mit den segregierten Wissenssegmenten und den schöpferischen Autorenwerken erschwert nicht nur den Zugang, bringt ansteigende Kosten über den Markt in die Gemeinnutzung, sondern definiert neu, was überhaupt als Wissen und damit als ein kulturelles Gut zu gelten hat. Gleichzeitig entzieht der Primat des Handels vor einer Gemeinnutzung die überwiegenden Teile kultureller Arbeit den kulturellen Diskursen, die dadurch noch erschwert werden, dass alle monetär bewertenden Kulturgüter dem offenen Diskurs nur noch über bestimmte Kanäle zugänglich sind, viele Werke der bildenden Kunst etwa in Privatsammlungen ganz verschwinden.

Selbst Diskurse zu den darstellenden Künsten sind heute kaum noch möglich, außer in reiner Textform. Fotografische Abbildungen von Lesungen oder gar Theateraufführungen, von Street-Events oder selbst regionalen Groß-Kulturveranstaltungen wie etwa die RUHR 2010 – Kulturhauptstadt Ruhrgebiet – oder von der Dokumenta in Kassel – die Liste könnte nun beliebig lang werden – sind kaum noch einem Diskurs gleich welcher Form und Medialität beizufügen.
Der Aberwitz dabei ist, im Zeitalter der Multimedialität wird der Umgang mit Wissen wieder grau. Der Grauwert der Medien nimmt exponentiell zu, gleichwohl Fotografien, Bewegtbilder jeder Art mit und ohne Sound in einem nie da gewesenen Ausmaß tagtäglich erstellt werden und über Suchmaschinen weltweit auch zugänglich ist. Nur eine Nutzung ist nicht erlaubt, nicht einmal Panoramafreiheit gilt heute uneingeschränkt mehr.

Die juristische Argumentation ist entweder abenteuerlich, komisch oder an Ahnungslosigkeit in der Sache und ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung nicht mehr zu unterbieten, wenn Gründe hervorgebracht werden, warum ein Foto, dass eine Einkaufsstraße in irgendeiner Großstadt zeigt, auf der naturgemäß Besucher, Konsumenten und Passanten herumlaufen, nicht in einem Webblog z.B. gezeigt werden darf. Eine Rezension oder einfach nur eine private Meinung über eine Theaterveranstaltung darf heute nicht mehr veröffentlicht werden mit Abbildung der Aufführung, ohne erheblich Copyright-Gebühren zu entrichten. Tonaufnahmen einzufügen ist ultimativ schwierig da extrem kostspielig. Wie soll ein Diskurs über Kulturarbeit entstehen, wenn lediglich die graue Schriftform erlaubt und bezahlbar ist?

Diese „Umwertung aller Werte“ (Nietzsche) trifft die Kulturarbeit ins Mark, betrifft alle künstlerischen Werte, auch die, deren Herstellung weit zurück liegt in der Geschichte und deren Autoren bzw. Schöpfer längst verstorben sind. Die Umwertung ist dann total, wenn Kunstwerke von einst vergessen sind. Sie ist gefährlich für die Kultur und das kulturelle Verständnis, wenn Kultur umgedeutet und aus dem Zusammenhang gerissen wird. Das sog. Autorentheater, die Überbewertung von Inszenierungen, die einzig mit überraschenden Effekten sich anbiedernd an kulturelle Klischees aufwarten sind nur zwei Beispiel dafür – wir kommen später auf diesen Zusammenhang zurück. Wenn Diskurse über Kultur das kulturelle Erbe nicht mehr bewahren, weil der kulturelle Diskurs erschwert ist und mehr noch, weil eine Umdeutung um Umwertung stattfindet, die wesentlich dadurch bestimmt sind, dass die Diskurse immer mehr an thematischer und geschichtlicher wie kultureller Kontextualität verlieren, weil Diskurse ‚oberflächlicher‘ werden, trotzt oder wahrscheinlich wegen des universellen Zugangs zu Sekundärwissen, geht mehr als Kulturgeschichte verloren.



Markt vs. Allmende


Wissen steht einer Vermarktung im Wesen kontradiktorisch gegenüber. Wissen schließt eine Vermarktung mithin aus. Wir haben gesehen, was passieren muss, damit Wissen marktgängig wird: wir müssen Wissensträger personalisieren, müssen eine juristische Ebene zwischen Wissen und Diskurs schalten, das Privateigentum. Wir müssen im juristischen Sinn Privilegien schaffen, also Marktzugänge regeln und Marktformen bestätigen; hier das Monopol. Schlussendlich müssen wir Wissen als Allmende, als Form und Ergebnis eines transgenerativen und transkulturellen Diskurses aufheben.

Ist Wissen erst einmal kommodifiziert, also prinzipiell einer monetären Bewertung als Ware zugeführt, folgen die Marktmechanismen unverzüglich. Das sind vor allem Markt-Segmentierung als Folge einer Segregation von Wissen, Entwicklung der Marktsegmente durch investives Verhalten zum Zwecke der Kapitalisierung; d.h. in diesem Kontext die Umwandlung von Sachwerten in Kapital, also von nun monetär bewertbarem Wissen in kapitalisierbares Wissen.
Die Kapitalisierung auf den verschiedenen Kulturmärkten erfolgt wie bei jeder anderen Ware, hat aber durch die Monopolstruktur gerade für Investoren interessante Voraussetzungen. Dort, wo lukrative Märkte locken, fließen selbstverständlich auch die größeren Investments in den Handel sowie in in die Vermarktung.

Auf dem sog. Zweitmarkt der Kunstauktionen wurden von den letzten einhundert Verkäufen über 99% von zwei Aukionshäusern, Christie’s und Sotheby’s getätigt. Der Umsatz mit Kunstwerken belief sich im Jahr 2016 bei Sotheby’s auf 805,4 Millionen USD.
Christie’s, von James Christie im Jahre 1766 gegründet, ist heute mit großem Abstand weltweit führend auf dem Kunstmarkt, vor allem was Auktionen betrifft, und machte im Jahr 2015 einen Umsatz von 4,8 Milliarden Pfund/7,4 Milliarden US-Dollar.

Allein schon diese Zahlen belegen eine Marktdominanz, die in anderen Marktsegmenten ihres gleichen sucht. Fast den zehnfachen Umsatz zum Branchenzweiten auszuweisen, ist selten in anderen Segmenten und zeigt die monopolistische Struktur auf dem Auktionsmarkt. Ähnlich, aber nicht ganz so dominierend, ist die Situation auf dem Markt der Galerien, wo einige wenige den Weltmarkt dominieren und mit erheblichen finanziellen Aufwendungen für Marketing und marketing- ähnliche Aktivitäten, oft über der Grenze von 1.0 Mio. USD auf dem Segment der zeitgenössischen Kunst, Künstler binnen kürzester Frist von Nobodies zu Weltstars mit entsprechenden Einkommen werden lassen.

So dominieren lediglich zwei zeitgenössische Künstler den Auktionsmarkt bei den teuersten unter den Hammer gekommenen Bildern lebender Künstler weltweit – drei Mal Koons, vier Mal Richter. Viel Platz für andere Namen bleibt da nicht. Jasper Johns und Ed Ruscha sowie Cui Ruzhuos finden gerade noch Platz in dieser Hitliste des Kunstmarktes mit Werken lebender Künstler9 , die sich mittlerweile zu wahren Spekulationsobjekten entwickelt haben mit einem gewissen Beigeschmack aufgrund der doch arg kleinen und in sich abgeschlossenen Community von Insidern.

Bei den Preisen, die mittlerweile für Kunstwerke aufgerufen werden, tuen sich selbst große, staatlich geförderte Museen schwer mit Ankäufen. So belief sich der gesamte Kulturetat der BRD im Jahr 2009 auf etwas mehr, als der Umsatz von Christie’s in 2016. Der Markt also bestimmt hier, was Kunst ist, welchen Wert sie hat und wer bzw. wo man sie zu sehen bekommt. Und auch, wer als Künstler anerkannt wird.
Ein Diskurs, abseits von den einschlägigen, notorisch inhaltsleeren Aufzählungen von Verkaufspreisen und Rankings in den Medien – und das reproduzieren fast ausnahmslos alle Medien und Mediengattungen – findet kaum noch statt. Nähme man die bildenden Künste und vor allem die Malerei, dann wäre ein Urteil wie: Kunst als ein Gemeingut existiert nicht mehr nahe an der Wahrheit.

Während also einerseits die Kulturarbeit immer mehr unter die Mechanismen der Marktwirtschaft gerät, zeigt es sich, dass diese Mechanismen andererseits für das Feld der Kulturarbeit ungeeignet sind. Viel mehr Künstler müssten ein Auskommen durch ihre Arbeit haben, aber allein schon der Versuch, anstelle der Monopolstrukturen im Kunstmarkt oligopole Strukturen zu setzen, verfängt nicht. Wäre dem so, müssten zahlreiche Autoren und Kunst-Fotografen materiell erheblich besser gestellt sein.
Besonders Autoren hätten bei der Reproduktion ihrer Werke bessere Voraussetzungen, zumal mit den Neuen Medien und der Digitalisierung die Verbreitungskosten gegen Null gehen und so den Verlagen einen recht großen Spielraum der Preissetzung bzw- -findung gestatten.

Zwar gibt es eine zarte Diskussion, das vorherrschende Subskriptionsmodell durch ein Modell mit dem schönen Namen: Open Access zu ersetzen, ein global funktionierendes Preismodell jedoch ist nicht in Aussicht. Und ohne ein globales Modell funktioniert ein „freier Zugang“ zum Wissen nicht, da sonst die Unterschiede in den Geschäftsmodellen der verschiedenen Verlage, wissenschaftlicher wie nicht-wissenschaftlicher Autoren – schlussendlich wieder zu Wettbewerbsverzerrungen und Konzentration führen würde.

Die viel gepriesene „Marktrationalität“10 verfängt allein deshalb schon nicht, weil sich auf Allmende oder anders gesagt, auf kulturelle Güter die Marktmechanismen nicht anwenden lassen. Wir haben das in den zwei großen Bereichen, die uns als Illustration und Beispiele dienten, aufgezeigt: Im Bereich der produktiven, unbezahlten Arbeit und im Bereich Wissen. Allein diese beiden Bereiche machen schon einen erheblichen Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft und auch in der globalen Ökonomie aus.
Wenn wir also Allmende ökonomisch bestimmen11 als gemeinschaftliches Eigentum mit gemeinschaftlichen Nutzungsrechten, dann entzieht sich dieser Produktionsfaktor dem Markt nachhaltig, um nicht zu sagen kategorial.

Gerade weil die Allmende nicht ökonomisch bestimmt ist, kann sie unter die ökonomischen Mechanismen gesetzt werden. Ökonomisch bestimmt könnte sich keine einzig Volkswirtschaft der Erde eine Vergütung von Haus- und Kulturarbeit auch nur in Ansätzen leisten. Als segregiertes Wissen, z.B. als Ingenieurswissenschaften, betrieb es als wichtiger Produktionsfaktor die Industrialisierung der westlichen Ökonomien. Als Wissen in Form der Digitalisierung, was gerne und unzulänglich als Wissensgesellschaft genannt wird, springt der selbe Produktionsfaktor nun gegen den Prozess der Deindustrialisierung mit erblicher Anziehungskraft auf Investitionskapital den westlichen Volkswirtschaften an die Seite, auch, um als Gegengewicht zu einem bereits verlorenen Wettbewerb vor allem gegen die chinesische Volkswirtschaft zu bestehen.



Der Kunstmarkt – ein Spezialfall?


Marktwirtschaft sei ein Tauschsystem vorteilsuchender Wirtschaftssubjekte; so gesehen, wäre der Kunstmarkt durchaus ein Teil der Marktwirtschaft. Betrachten wir aber den gesamten Tauschprozess, kommen doch einige erhebliche Zweifel. Wir haben gesehen, dass in einer auf Privateigentum aufbauenden Wirtschaft Kaufkontrakte auf Märkten jene Operationen zu einem Abschluss bringen, die mit einem Kontakt zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner beginnen und deren Dynamik zielgerichtet ist, insofern sie einer verzinsten und zeitlich befristeten Tilgung von Zins und Schuldsumme folgt. Auf dem Markt der Kunstauktionen fehlt dieser Kontext meist ganz oder überwiegend.

In einer Marktwirtschaft werden höchst selten singuläre Luxusgüter verkauft, deren Herstellungskosten sehr gering sind. Auf dem Kunstmarkt ist dies häufig der Fall. Arbeiten, die flüchtig sind und den Vanitas-Gedanken behandeln, also an Vergänglichkeit erinnern, die sich auflösen, verschimmeln oder verrotten wie Arbeiten von Joseph Beuys oder Dieter Roth, in der Eat Art etc. kann man sich schwerlich im Supermarkt vorstellen. Großformatige Fotografien von einem Supermarkt von Andreas Gursky erzielen Höchstpreise bei Auktionen, im Supermarkt findet man nicht einmal Abzüge im Postkartenformat.

Überhaupt ist Kunst im Supermarkt allein deshalb schon nicht auffindbar, weil Kunst fast nie von „Endkunden“ resp. normalen Käufern nachgefragt wird. Eine Ware, also ein Angebot ohne klassische Nachtfragestruktur, ist das noch Marktwirtschaft? Zur Marktwirtschaft gehört der internationale Finanzmarkt, wo auf Wertdifferenzen spekuliert wird.
Das gilt auch für den Kunstmarkt. Dort wird auf Wertsteigerungen spekuliert und Kunstwerke wie Spekulationsobjekte von Kunstinvestoren bzw. deren Agenten ersteigert oder in einer Art Vorabvertrag der Erwerb gesichert und bis zur erhofften Wertsteigerung dann, diskret vom Markt verborgen, in Tresoren und von der Öffentlichkeit kaum kontrolliert verwaltet.

Deshalb ist der Kunstmarkt auch für Geldwäsche und Steuerhinterziehung interessant und seine Intransparenz wird noch gesteigert durch die Verbindungen der anonymen Geldströme aus den sog. Steuerparadiesen zum Kunstmarkt und zurück.
Wie wir gezeigt haben, ist ein Wesenszug der Marktwirtschaft, dass der Gläubiger, also der, der durch die Liquidierung seines Privatvermögens die Marktwirtschaft mit Geld versorgt, durch die Liquidierung weder Güter noch Geld verliert. Was er verringert ist seine relative Geldbeschaffungsfähigkeit und die nur nachhaltig, wenn Zins und Tilgung durch den Schuldner ausbleiben.

Auf dem Kunstmarkt, wo fast schon semi-legal, also staatlich geduldet Schwarzgeld, Gelder aus illegalen Geschäften von der Steuerhinterziehung bis zum Drogen- und Menschenhandel investiert bzw. gewaschen werden, verringert sich die Geldbeschaffungsfähigkeit der Investoren natürlich nicht.
In der Marktwirtschaft hat die Geldbeschaffung eine so wesentliche Rolle inne, dass mit allen nur erdenklichen und justiziablen Vorsichtsmaßnahmen dafür gesorgt wird, dass sowohl die Anrechte auf Eigentum auch mit Eigentum gedeckt sind und zugleich dadurch auch deren Echtheit gewährleistet bzw. bestätigt ist.

Auf dem Kunstmarkt ist dies häufig nicht der Fall. Weder sind die Gelder, die dort beim Kauf eines Kunstwerkes fließen so echt wie die Kunstwerke selbst, die Heritage der Geldwerte mitunter völlig im Dunkeln. Das „money proper“ hat bis zur Verwandlung in hochwertige Kunst nicht selten erheblichen Dreck am Stecken.
Aber da man in die Sphäre des „money of account“ in den Steuerparadiesen bzw. anders gesagt, hinter die Kulissen der staatlich geduldeten Finanzkriminalität nicht schauen kann, weder in Delaware, Panama, den Bahamas etc. ist dessen „Wertlosigkeit“ auch nicht festzustellen.

Es fehlt also auf dem Kunstmarkt ein ordentlicher Finanzmarkt, der kontrolliert und transparent ist, obwohl und gerade weil über 60 Mrd. USD jährlich dort an Umsätzen getätigt werden.




Die Grafik zeigt auch recht eindrucksvoll einen Markt, der sich innerhalb von zehn Jahren kaum bewegt hat. Außer im Jahr 2009, als die Effekte der Finanzmarktkrise auch auf den Kunstmarkt durchschlugen, ist der Markt nicht nur stabil, sondern auch schwankungsarm verlaufen; Honi soit qui mal y pense.


Den Kunstmarkt kann man nach heutigen Maßstäben, die etwa auf anderen Investitions- bzw. Finanzmärkten gelten, nicht als vergleichbar reguliert und transparent bezeichnen. Die Auswirkungen dieser höchst problematischen Form der Privatisierung im Kunstmarkt sind vielfältig.

Zunehmend geraten Orte und Institutionen, an denen Kunst ausgestellt, gesammelt, diskutiert oder produziert wird, von öffentlichen in private Hände, was wir im Rahmen der Transformation von Allmende bereits aufgezeigt haben. Private Sammler bestimmen immer mehr als Leihgeber oder Stifter von ganzen Sammlungen zunehmend, welche Kunst in welchen Museen zu sehen ist. Dies tuen sie aber nicht nur, um ihre Sammlungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern durchaus aus Eigeninteresse. Mit jeder, fast immer auch mit erheblichen Aufwendungen an Personal und Finanzmittel verbundenen Ausstellung in öffentlichen Museen steigern sich nicht nur die Aufmerksamkeit an der Sammlung, sondern auch deren Wert nicht unerheblich. Zudem kann ein Leihgeber oder Stifter sich für einen Zeitraum auch noch Kosten für Versicherungen und Räumlichkeiten nebst Klimaanlage und Sicherheitsdienste sparen.

Eine Besonderheit auf dem Kunstmarkt sind Garantiepreisabsprachen, eine mittlerweile schon fast übliche Marktgepflogenheit, die in der Marktwirtschaft eigentlich überhaupt nicht gerne gesehen, sondern systematisch, wo identifiziert auch sanktioniert wird. Solche Preisabsprachen, bei denen Sammler Werke oder ganze Sammlungen bei Auktionshäusern einreichen und im Gegenzug einen garantierten Mindestpreis durch das Auktionshaus erhalten, dieses also das volle Risiko trägt, finden zwar nicht in aller Öffentlichkeit statt, sind aber Insidern im Vorfeld von Auktionen durchaus transparent. Hieran erkennt man schnell eine weitere Eigenschaft des Kunstmarktes, nämlich eine nicht ganz legale Selektion der Käufer, wobei die Begünstigungen bzw. der Wettbewerbsvorteil für bestimmte Personen und Gruppen bzw. Institutionen erheblich ausfällt.

Spricht man im Segment der Investitionsmärkte, besonders in den Börsensegmenten von Liquidität, dann bedeutet in aller Regel eine hohe Liquidität oder liquide Märkte auch eine hohe Transparenz und hoher Preiswettbewerb. Keine der beiden Eigenschaften trifft also auf den Kunstmarkt zu. Auf der Bieterseite sehen wir dem gegenüber bei den teuren Losen meist das Verhältnis zwischen Präsenz- und Telefonbietern in der Größenordnung von 1:2, also doppelt so viele anonyme wie identifizierbare Personen im Bieterwettbewerb.

Nicht selten übernehmen auch große, bekannte Galerien weltweite Repräsentanzen für Ausstellungen von Sammlungen resp. Retrospektiven, was prima vista einer Öffentlichkeitsarbeit gleichkommt, oft aber durch eine gezielte Betreuung von Sammlern aus dem Galeriefundus sich verdankt. Was so der Öffentlichkeit an Informationen präsentiert wird, entspricht mitnichten den Informationen, die Sammler und Investoren erhalten. Galerie-betreute Großausstellungen haben mehr das Ziel, Begehrlichkeiten zu wecken und große Preissprünge im Sammlungswert zu erzielen. Und vergeblich sucht man auf einem fast involatilen Markt über ein Jahrzehnt hinweg betrachtet Formen der Marktbereinigung. Jedes Investment und sei es ein noch so spekulatives und durch kein marktadäquates Kriterium gerechtfertigt scheint aufzugehen. Preissteigerungen von tausend Prozent sind keine Seltenheit. Verkäufe, die aus heutiger Sicht schon völlig aus der Rolle zu fallen, erbringen nach einigen Jahren, sogar, wenn der heutige Verkäufer das Werk wieder zurückkauft, noch immense Wertsteigerungen. Netto-Wertverluste sind selten.

Sucht man einen öffentlichen Diskurs über die Bedingungen und Folgen des Kunstmarktes, über die aktuellen Markttrends, so wird man schwerlich fündig. Dort, wo solche Themen diskutiert werden sollten, etwa in der Kunstkritik und in der Kunsttheorie beherrscht Kunstgeschichte den Diskurs. Die klassische Berichterstattung in den elektronischen Medien beschränkt sich in der Regel auf einzelne Phänomene des Kunstmarktes, insbesondere die bereits erwähnten, monetären Auktionsergebnisse und weniger auf den Kunstmarkt im Allgemeinen. So wird kaum über Markttrends, Marktverhalten und Marktstrukturen berichtet, schon gar nicht über die kulturelle Bedeutung von Kunst im Sinne einer Allmende.



Anmerkungen:

1 Der Begriff „Disruption“ leitet sich von dem englischen Wort „disrupt“ („zerstören“, „unterbrechen“) ab und beschreibt einen Vorgang, der vor allem mit dem Umbruch der Digitalwirtschaft in Zusammenhang gebracht wird: Bestehende, traditionelle Geschäftsmodelle, Produkte, Technologien oder Dienstleistungen werden immer wieder von innovativen Erneuerungen abgelöst und teilweise vollständig verdrängt.
Der Unterschied zwischen einer normalen Innovation, wie sie in allen Branchen vorkommen kann, und einer disruptiven Innovation liegt in der Art und Weise der Veränderung. Während es sich bei einer Innovation um eine Erneuerung handelt, die den Markt nicht grundlegend verändert, sondern lediglich weiterentwickelt, bezeichnet die disruptive Innovation eine komplette Umstrukturierung beziehungsweise Zerschlagung des bestehenden Modells.

2 Zur Wissens-Allmende zählen wir Wissen in jeglicher Form, das lexikalische Wissen, Werke der bildenden Kunst und Architektur, technische Erfindungen, Methoden der Wissenschaften etc.

3 Marx (1858/1981), S. 574f.

4 Unter „Privilegierung“ versteht man in den Geschichts- und Rechtswissenschaften allgemein einen begünstigenden Herrschaftsakt (z. B. eines Kaisers, Papstes, Herzogs oder Grundherrn) zu Gunsten eines Einzelempfängers oder einer Gruppe durch Verleihung eines (Vor-)Rechts (= Privileg).

5 Ein Monopson liegt also dann vor, wenn ein Nachfrager einer großen Zahl von Anbietern gegenübersteht.

6 Vgl. Fichte (1793)

7 Nichtrivalitätsaxiom. Konzept zur Charakterisierung öffentlicher Güter, wenn auch das Ausschlussprinzip nicht gilt. Ein Gut erfüllt das Nichtrivalitätsaxiom, wenn dieses von allen Haushalten ohne gegenseitige Beeinflussung in gleichem Umfang konsumiert werden kann (nicht rivalisierender Konsum) z.B. Preisstabilität, Rundfunksendungen.(Gabler)

8 Vgl. Condorcet (1847-1849)

9 Auf dem deutschen Kunstmarkt dominieren die Werke von Gerhard Richter, Georg Baselitz, Andreas Gursky, Thomas Schütte, Anselm Kiefer, Neo Rauch, Günther Uecker, Thomas Struth, Rosemarie Trockel und Albert Oehlen.

10 In der Wirtschaftssoziologie: Rationalitätsbegriff der liberalen Theorie, der von der Unmöglichkeit der Festlegung inhaltlicher Planziele ausgeht. Die Normierung eines sozialen Systems wird auf die Formulierung institutioneller Rahmenbedingungen und die Setzung formaler Spielregeln beschränkt, innerhalb deren sich das freie Spiel marktrelevanter, im weiteren Sinne aller systemrelevanten Kräfte, entfalten und eine optimale inhaltliche Lösung der Systemprobleme garantieren soll.(Wirtschaftslexikon)

11 Aus hermeneutischen Gründen. Nicht der Sache nach.



Foto: monika m. seibel www.photographie-web.de



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